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Der Hummus der Demokratie

Anna Thalhammer | Chefredakteurin Profil

Regionalmedien erfreuen sich laut Studien größter Beliebtheit. Das ist höchst verdient, denn kaum eine andere Form des Journalismus leistet einen derart wertvollen Beitrag zu einem versöhnlichen
Miteinander.

olitiker wie Journalisten haben eine ähnliche Methode, sich an die Objekte ihrer Begierde heranzupirschen: Man versucht auf vielfältigste Art, Nähe zu seinem Wähler oder zu seinem Leser herzustellen. Denn dem Menschen ist wichtig, was unmittelbar und vertraut ist. Es weckt seine Emotionen, die bewegen – im Positiven wie im Negativen. Und wenn man es gut macht, kann man Menschen für sich gewinnen, sie dazu bringen, zuzuhören, ihren Geist anzustoßen, wach und kritisch zu sein. Diese Zutaten zu einem gepflegten Diskurs sind für eine wehr- und lebhafte Demokratie essenziell.

Guter, qualitativ hochwertiger Journalismus versucht also immer, eine Brücke zwischen den großen Phänomenen der Welt und der Lebensrealität einzelner zu schlagen, es auf wahre Geschichten von echten Menschen herunterzubrechen. So versucht man zu vermitteln, warum auch etwas, das weit weg wirkt, für jeden Einzelnen relevant ist – und dringend interessieren sollte. 

Das klingt jetzt gar nicht so schwierig, aber es ist eine hohe Kunst und erfordert echtes Interesse der Journalisten am Objekt seiner Berichterstattung. Es erfordert Mut, sich in viele unbekannte Situationen zu begeben. Und Selbstüberwindung, fremde Menschen anzusprechen, die einem auch immer wieder rüde Abfuhren erteilen. Es erfordert aber vor allem großes Einfühlungsvermögen, menschliche Größe und Talent, sich auf andere einzulassen. Denn nur dann werden sie einem vertrauen, wertvolle Blicke in ihr Leben gewähren und wohl gehütete Geheimnisse lüften.

Niemand beherrscht diese Königsdisziplinen besser als gute Regionaljournalisten, die ihre Gegend und die Menschen dort kennen wie ihre Westentasche. Genau das ist aber auch die Krux an ihrem Beruf – die nötige, kritische Distanz zu halten, ist oft schwierig. Gefundene Skandale auch publik zu machen, hat etwa mitunter einen hohen Preis. Denn jeder liebt den Verrat, aber niemand den Verräter – es gibt viele Beispiele von regionalen Aufdeckerjournalisten, die zur Persona non grata wurden. Und die das dennoch in Kauf nahmen, weil was es wiegt, das hat es eben und gehört aufgezeigt.

Diese Form des Journalismus – auch wenn vom Wasserkopf Wien aus oft belächelt – ringt mir meinen allerhöchsten Respekt ab. Regionalmedien bilden den Hummus der Demokratie. Sie sorgen dafür, dass sich Menschen für ihre Umgebung interessieren, sich selbst und andere kritisch hinterfragen, miteinander zu diskutieren beginnen. Sie sorgen dafür, dass Neue ein Heimatgefühl entwickeln können und nicht Fremde bleiben. Und sie sorgen dafür, dass die Anliegen und Sorgen von Menschen gehört werden und sie nicht einsam daran verzweifeln. Das alles trägt zu einem respektvollen, versöhnlichen Miteinander bei. In diesem Sinne: Alles Gute zum Geburtstag, lieber Blick um Anger. Ich freue mich immer, wenn ich dich sehe und hoffe, du liegst wieder bei meiner Schwiegermutter am Tisch, wenn ich das nächste Mal da bin. Bleib jedenfalls wie du bist und lebe hoch, hoch, hoch! 

Bildquellen

  • Anna Thalhammer, 2023, Wien, Copyright www.peterrigaud.com: Archiv Blick um Anger – Die Verantwortung über das Urheberrecht für die Fotos obliegt den Redakteuren